Offener Brief an Frau Oberbürgermeisterin Barbara Bosch und die im Gemeinderat vertretenen Fraktionen

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,
sehr geehrte Fraktionsvorsitzende,
sehr geehrte Pressevertreter*innen,

wir möchten den offenen Brief des Reutlinger AfD-Kreisvorstandes an uns, ROSA (Reutlingen for Organisation, Solidarity and Actions) und die Oberbürgermeisterin Barbara Bosch, nicht unkommentiert stehen lassen. Im Folgenden beziehen wir Stellung und schildern unsere Sicht der Dinge.

ROSA – die „Reutlinger Antifa-Gruppe“?
Wir sind überwiegend junge, politisch interessierte Menschen, die einmal im Monat zu einem „Offenen Treffen“ im Haus der Jugend zusammenkommen.
Gegründet hat sich ROSA im Januar 2017, da unter anderem vermehrt rechte Aktivitäten in und um Reutlingen wahrzunehmen waren. Für uns ist ROSA eine notwendige Plattform zur Vernetzung interessierter und engagierter Menschen um dem Bestehenden alternative Konzepte des solidarischen Miteinanders entgegenzusetzen.
Bei den barrierefreien ROSA-Treffen ist jede*r willkommen, egal welchen Alters, Geschlechts, etc., solange er*sie weder andere diskriminiert noch menschenverachtende Hetze verbreitet.
So ist jede*r dazu eingeladen sich ein Bild von uns und unserer Arbeit zu machen, die – entgegen der Behauptungen der AfD – nicht aus „behindern der demokratischen Arbeit anderer Parteien“ besteht.
Unser respektvoller Umgang auf Augenhöhe ermöglicht einen Raum, in welchem jede*r Gehör findet, eigene Ideen einbringen und sich in Diskussionen austauschen kann. Gemeinsam organisieren wir die verschiedensten Aktionen und Workshops gegen jede Art von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
Die Grundlage hierfür bilden wir durch eine diskriminierungsfreie Kommunikation. Durch Dialog und Kritikfähigkeit sind wir stetig dabei uns selbst zu hinterfragen und weiterzubilden.
Mit diesem Anliegen haben wir im letzten Jahr die Veranstaltungsreihe „ROSA – Infocafé“ gegründet. Einmal im Monat öffnen wir seither die Räumlichkeiten des Haus der Jugend und laden bei Kaffee und Kuchen zur gemeinsamen Auseinandersetzung mit verschiedensten, gesellschaftspolitischen Themen ein.
Wir haben großes Interesse an einem offenen Diskurs über Gesellschaft, Politik, das eigenständige Projekt ROSA und die Art und Weise wie wir gegen diejenigen Verhältnisse arbeiten, die ganz systematisch die allgegenwärtige Ausgrenzung, Konkurrenz und Diskriminierung fördern oder gar erst hervorbringen.
So haben wir zum Beispiel im Januar zu einer Podiumsdiskussion eingeladen um mit Vertreter*innen verschiedenster Parteien, Gewerkschaften und anderen Organisationen einen Dialog zum Thema Blockaden (im Bereich der Anti-Nazi-Arbeit, in Arbeitskämpfen und innerhalb sozialer Bewegungen) zu ermöglichen.
Alle unsere Veranstaltungen bewerben wir immer öffentlich, online wie offline, und freuen uns sehr über all jene, die sich daran beteiligen.

Wir wollen nicht darüber diskutieren, ob Rassismus legitim ist, ob Schießbefehle verhältnismäßig sind, oder ob man Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen kann.
In dem von der AfD am 29.01.2018 verfassten Schreiben fordert sie ROSA zum „gewaltfreien Austausch von Argumenten“ auf. Gerne setzen wir uns öffentlich mit Vertreter*innen der AfD zusammen, wenn diese ein ernsthaftes Interesse daran haben sollten, sich kritisch mit den eigenen Inhalten auseinander zu setzen. Gerne erklären wir der AfD, was wir an ihren hinreichend bekannten Positionen falsch finden, wieso wir dieses teilweise für unvereinbar mit unserem Grundgesetz halten, warum für uns allein Ihre Standpunkte ein Ausdruck von Gewalt sind und wie wir dies begründen. Damit hätte sich die AfD allerdings, zum Beispiel anhand unserer Redebeiträge auf der Kundgebung gegen den Neujahrsempfang am 19.01.2018, bereits auseinandersetzen können.
In der Öffentlichkeit wurde der AfD und ihren menschenverachtenden Positionen schon mehr als genug Aufmerksamkeit geschenkt. Deshalb sehen wir weder den Bedarf noch erachten wir es als sinnvoll, den Standpunkten der AfD im Rahmen eines öffentlichen Podiums erneut eine Bühne zu bieten. Denn für uns als ROSA stehen diese Ansichten nicht zur Diskussion.
Der Aufforderung zu einer Podiumsdiskussion nicht nachzukommen, sehen wir dabei keinesfalls als undemokratisch, sondern ganz im Gegenteil, als den für uns einzig vernünftigen Umgang einer demokratischen Gesellschaft mit der AfD, der nicht zu einer Normalisierung dieser Partei und ihrer Forderungen führt.
Die sachliche Diskussion und Auseinandersetzung mit Fakten verliert diese Partei jedes Mal. Das haben unzählige Talkshows und Podiumsdiskussionen in der Vergangenheit gezeigt. Leider ist das den Mitgliedern und Sympathisanten der AfD, unter denen sich neben Neurechten auch waschechte Neonazis und Antisemiten tümmeln, völlig egal. Denn für diese Partei gibt es nur einen Standpunkt und das ist ihr eigener!
An der Meinung des Gegenübers haben sie nur dann Interesse, wenn sie nützlich ist, die AfD als normale Partei zu inszenieren. Auch die besten Argumente verändern nichts an deren Denkweise – das haben sie weder in der Vergangenheit, noch werden sie es zukünftig tun.
Fakten dienen der AfD maximal als Mittel zum Zweck, nämlich um sich derer zu bedienen, die gerade zu der eigenen Position passen – den Rest blenden sie gekonnt aus.
Insofern könnte die AfD es als Erfolg verbuchen, wenn eine solche Veranstaltung überhaupt stattfände, denn es wäre ihnen und ihrer nationalen, rassistischen und rückwärtsgewandten Ideologie erneut eine Bühne geboten. Aus diesem Grund wird ROSA nicht dazu beitragen, dass diese Partei als ein alltäglicher Teil der öffentlichen Meinungsbildung angesehen wird. Daher werden wir der AfD auch weiterhin so begegnen, wie es nötig ist: Mit öffentlichem Protest, Informationsveranstaltungen und Widerstand. Das haben wir bisher erfolgreich getan, was sich allein schon darin zeigt, dass die AfD ein im Haus der Jugend stattfindendes, öffentliches Treffen zum Anlass nimmt, um sich in einem offenen Brief an die Oberbürgermeisterin lächerlich zu machen.

Gerne bieten wir der AfD an, in Zukunft von unseren Kundgebungen abzusehen – wenn Sie im Gegenzug auch keine Veranstaltungen mehr organisiert.
In einer Gesellschaft, die für die freie politische Betätigung und Meinungsäußerung aller einsteht, solange dies mit dem Grundgesetz vereinbar ist, hat jede demokratische Partei das Anrecht darauf, eine Veranstaltung durchzuführen.
Das Recht darauf dies gänzlich ungestört und unwidersprochen zu tun, hat sie allerdings nicht. Es ist eine ironische Höchstleistung der AfD, sich selbst in ihrem Schreiben als demokratisch hervorzuheben und zeitgleich von der Stadtverwaltung das Verbot einer Gegenkundgebung zu fordern, die durch das Versammlungsrecht gedeckt ist.
Zudem stützt die AfD diese Forderung unter anderem auf Vorfälle im Zusammenhang mit Kundgebungen in der Vergangenheit, zu denen ROSA nicht aufgerufen hat.
Unabhängig davon rechtfertigt sich das Verbot einer Kundgebung daraus keinesfalls, wie die Rechtsprechung festgestellt hat.
Wir stehen für einen friedlichen Gegenprotest, wie er am 19.01.2018 stattgefunden hat und werden auch bei zukünftigen Veranstaltungen der AfD dazu aufrufen.
Die AfD bezeichnet sich selbst als demokratische Partei. Entsprechend muss sie Widerstand aushalten, gar annehmen und lernen damit umzugehen.

Die Forderungen, uns den Raum im Haus der Jugend zu entziehen, können wir ebenso wenig nachvollziehen.
Wir bieten für die Jugend ein Angebot, das wie geschaffen ist für die Satzung des Stadtjugendrings als Träger und der Hausordnung des Haus der Jugend nicht widerspricht. Ganz im Gegenteil, wir tragen aktiv zu deren Umsetzung bei.

ROSA leistet einen wichtigen Beitrag für ein friedliches und respektvolles Miteinander in der Stadt Reutlingen und wir werden es nicht zulassen, dass die AfD versucht. Andersdenkenden Räume zu entziehen.

Haben Sie Fragen oder sollte Gesprächsbedarf bestehen, wenden Sie sich gerne jederzeit an uns.

Wir verbleiben mit freundlichen Grüßen
ROSA – Reutlingen for Organisation, Solidarity and Actions

 

Hier finden Sie den Brief (inkl. Fußnoten) als PDF-Download.